Warum zuckerfrei leben nichts für mich ist

Die erste Woche ohne Zucker war hart, in der zweiten war ich mega-stolz, in der dritten Woche total krank. Aber in der vierten habe ich Projekt Zuckerfrei vorzeitig beendet. Ich habe keine 40 Tage zuckerfrei leben durchgehalten. Hier will ich Euch erzählen, warum das Projekt mich sehr nachdenklich gemacht hat und warum das zuckerfreie Leben nichts für mich ist.

Konsequenz? Nicht mein zweiter Vorname

Ich habe in meinem Leben schon viel angefangen und nicht durchgezogen. Geige spielen. Nur noch Tee trinken. Jede Woche ins Fitness-Studio gehen. Die Haare wachsen lassen. Kein Fleisch mehr essen – da war ich 16 und schwer in einen Vegetarier verknallt. Aber als er mir die kalte Schulter zeigte, aß ich erst einmal ein Gelbwurstbrot. Wenn ich von etwas überzeugt bin, kann ich das schon durchziehen. Aber wenn die Geige nach vier Wochen immer noch quietscht und der Vegetarier mein fleischloses Opfer nicht zu würdigen weiß, bin ich weg. Ich bin kein konsequenter Mensch. Und vor allem mag ich kein Vorhaben mit mir rumschleppen, das mir nichts bringt und keinen Spaß macht – siehe Geige spielen.

Ein einziger Donut hat gereicht, um zu zweifeln

In der dritten Woche ohne Industriezucker hat mich die Grippewelle knallhart erwischt, ich lag mit Fieber im Bett und fühlte mich wie ein Zombie. Auf Zucker zu verzichten war sehr einfach, ich hatte keinen Appetit und nach einer Woche sah ich aus wie ein Strich. Das konnte so nicht bleiben und wahrscheinlich biss ich deshalb, als es mir etwas besser ging, gedankenverloren in einen Donut. Der schmeckte nicht mal lecker, setzte aber eine ganze Gedanken-Kaskade in Gang:

Jetzt ging es mir eine Woche lang beschissen, das hab ich mir ja wohl verdient. Jawohl. Und was soll das alles überhaupt? Das bisschen Zucker! Warum wollte ich eigentlich zuckerfrei leben darauf verzichten? Abnehmen will ich eh nicht, meine Haut ist auch in Ordnung, Magenprobleme hab ich auch keine. Was soll das also alles?

Keinen Zucker zu essen hat rein gar nichts geändert, außer, dass ich öfter als sonst über mein Essen nachgedacht habe. Aber nicht einmal das hatte einen positiven Effekt – es nervte auf Dauer nur. Dieses ständige Sinnieren darüber, ob irgendwo Zucker drin ist, wenn ja, ob es dafür eine Alternative gibt und wo, ob Fruchtzucker nun erlaubt ist oder nicht, ärgert mich.

Viel nachdenken übers Nicht-Essen

Ich will nicht, dass mir ein Nahrungsmittel, das ich gar nicht zu mir nehme, so viel von meiner Zeit und meiner Energie frisst. Denn wer auf etwas verzichten will und im Verzicht nicht geübt ist, der braucht neben viel Motivation auch viel Zeit. Beides war bei mir nur begrenzt vorhanden.

Jetzt könnt Ihr natürlich ablästern, bitteschön, das Kommentarfeld ist gleich da unten. Erst tönt die Tussi lautstark durchs Internet, dass sie auf Zucker verzichtet – für schlappe 40 Tage zuckerfrei leben will – und dann knickt sie gleich beim ersten Donut ein. Also klopft Euch auf die Schulter, wenn Ihr das mit dem zuckerfreien Leben besser drauf habt. Oder seht es so: Dünnen Menschen wird gerne mal unterstellt, sie seien die Meister des Verzichts und der Selbstdisziplin. Nun wisst Ihr: Das ist absoluter Quatsch.

Wozu Verzicht führen kann

Kurz nach der Donut-Episode traf ich für einen Artikel eine dünne Frau. Vor einem halben Jahr ist sie noch viel dünner gewesen, so dünn, dass sie zehn Wochen in einer Klinik für Essstörungen verbrachte. Sie leidet an Sportbulimie – eine Krankheit, die ich bis dahin gar nicht kannte – das heißt, die junge Frau hatte Essanfälle und hat nach jedem exzessiv trainiert, um die Kalorien wieder runterzubekommen. Bei den Essanfällen hat sie nicht etwa Schokolade oder Chips in sich hinein gestopft, sondern ausschließlich gesunde Nahrungsmittel, Haferflocken zum Beispiel. Ich war beeindruckt, wie offen sie von ihrer Krankheit erzählte und ein Satz hat mich besonders nachdenklich gemacht, sie sagte:

Alles begann damit, dass ich ein gesünderes Leben führen wollte – ich wollte mich einfach besser ernähren und mehr Sport treiben.

Natürlich waren in ihrem Fall die Fixierung auf die gesunde Ernährung und der exzessive Sport (jeden Tag 20 Kilometer joggen und drei Mal ins Fitness-Studio) Symptome für eine andere Problematik, die sie so verdrängt hat – wenn man Essstörungen so vereinfacht erklären kann. Aber ihre Geschichte ging mir nicht aus dem Kopf. Ich glaube schon, dass ein Verzicht auf etwas oder ein sehr bewusster Ernährungsstil, bei dem man viel beachten muss, schnell mal in eine Richtung ausbrechen kann, die nicht mehr gesund ist. Allein die Fixierung auf Nahrungsaufnahme und bestimmte Lebensmittel – was ist erlaubt? was darf man? – kann auf Dauer nicht gesund sein. Dieses „was darf man?“ mag für viele eine tolle Herausforderung sein, ich fühlte mich nach einiger Zeit davon gegängelt. Und das mündete in einer Art Trotzreaktion: Niemand schreibt mir vor, was ich essen darf. Nur ich selber. Und da darf ich grundsätzlich mal alles.

Alles in Maßen und ohne Bohei

Für die Geschichte über Sportbulimie habe ich auch mit einem Psychologen geredet und ihn gefragt, wie man Kinder vor so einem krankhaften Essverhalten schützen könnte und er sagte sinngemäß: Essen sollte gar keinen so hohen Stellenwert haben. Es ist wichtig fürs Überleben, die Mahlzeiten sollen natürlich ausgewogen sein und eher ungesunde Sachen wie Süßigkeiten nur in Maßen enthalten. Aber man sollte keinen so großen Bohei drum machen. Gar nicht so einfach in einer Gesellschaft, in der sich manche Menschen nahezu täglich mit immer gesünderen Ernährungsweisen zu überbieten versuchen. Hannah Frey von Projekt Gesund Leben hat dazu einen sehr interessanten Text geschrieben: Der Zwang, gesund zu essen. Auch Alex geht in ihrem Beitrag über die geheimen Einflüsse aufs Essverhalten darauf ein.

Das Selbstverständliche, nämlich essen, weil es satt macht und gut schmeckt, weil es Spaß macht zu kochen und zusammen mit anderen am Tisch zu sitzen (worüber unsere Kollegin Johanna Bayer einen sehr schönen Blog schreibt), bleibt auf der Strecke, wenn wir uns so intensiv mit der Nahrungsaufnahme beschäftigen. Und der Grat zwischen bewusster Ernährung und krankhafter Fixierung wird immer schmaler.

Da lob ich mir meinen breiten Trampelpfad mit Kuchen, Schokolade vorm Fernseher und einem Löffel Zucker im Kaffee.

Zuckerfrei leben ist nichts für mich.

In der nächsten Fastenzeit verzichte ich lieber wieder auf Alkohol.

11 Kommentare

  1. Danke liebe Nadja für den EHRLICHEN, OFFENEN UND LIEBEN Artikel. Du sprichst mir in dem Moment aus dem *Herzen*! Danke!
    LG L

  2. Hallo Nadja,
    Du bringst es auf den Punkt…
    LG
    Uli

  3. Toller Artikel! Ich hab’s übrigens genau zwei Tage geschafft…und dann die Regeln ausgefranst (nur den bösen Industriezucker vermeiden, Sonntags ist Fastenbrechen, Jogurth zählt nicht…) 😉

    • Nadja Katzenberger

      Das klingt sehr sympathisch 🙂 Bei Jogurt hatte ich von Anfang an so meine Probleme, schmeckt so gut und immer den Naturjogurt mit Agavendicksaft aufgeben war auf Dauer öde…

  4. Ich habe meine zuckerfreie Diät vom Anfang November bis zum Plätzchen backen ausgehalten. Ich stimme zu: zuckerfreies Leben ist nicht für mich! 🙂
    Viele Grüße, Dominika

  5. sehr gut geschrieben. In meiner damaligen WG haben wir immer sehr viel ausprobiert. RAW food Diät, Saftdiät, Suppenwoche und und und…. unterbewusst möchte ich nun behaupten dass es ein einziger Kampf war – wer hat den besseren Lifestyle. Und bei 8 Leuten die auch alle irgendwie sehr individuelle Typen waren ist das kein Wunder. Jetzt auf meiner Reise von Nord- nach Südamerika ist mir aufgefallen wie groß der Unterschied doch ist, zwischen der westlichen Welt (Nordamerika) und den ärmlichen Ländern Südamerikas. Das Körpergefühl ist im Süden ein komplett anderes und als attraktiv gelten ganz andere Maße als bei uns. Da laufen die Hühner noch frei im Garten rum und der Fisch wird frisch im See geangelt. Süßes ist furchtbar teuer, da kommt man nur ab und zu dazu etwas Süßes zu kaufen. Irgendwie hat sich das alles super ausgewogen angefühlt.
    Ich selbst bin Vegetarier seit 6 Jahren und vermisse nichts… damit dem Zuckerfrei würde ich dennoch gerne probieren, weil sich irgendwie die Geschmacksnerven verändern – durfte ich damals bei meinem halben Jahr Veganer sein schon feststellen. Aber ja, ich stimme zu, es ist unglaublich zeitaufwändig.
    Guten Appetit bei der nächsten Schokolade – ich freu mich schon auf die gute Schoki in Deutschland 🙂
    Grüße aus Chile,
    Liane

    • Alexandra von Knobloch

      Grüße nach Chile. Dass sich der Geschmackseindruck sehr schnell verändert, ist eine der besten Nebenwirkungen solcher Aktionen. Ich zum Beispiel esse seit Jahren keine Fertigprodukte mehr. Seither salze ich kaum noch, sondern würze mit allem Möglichen, weil mir der Salzgeschmack sofort zu dominant wird.

  6. Hallo,
    toller Artikel. Ich habe es auch mal vier Wochen durchgezogen. Habe aber auch kein Frucht- und Milchzucker gegessen. Ich muss auch sagen, dass es am Anfang anstrengend war, bis man mal durch die ganzen Nahrungsmittel durchgeblickt hat…. Aber dann ging es. Und Samstags habe ich alles gegessen 🙂 Meine Erfahrung war, dass einem nachher alles viel zu süß war, dass Kaffee ohne Zucker wohl schmeckt, und dass man ohne Zucker fitter ist. Das Hautbild hatte sich auch positiv verändert. Und ohne kg abzunehmen sind die Hosen alle weiter geworden….
    Aber trotz dieser positiven Veränderungen, bekomme ich meinen Schweinehund nicht nochmal dazu das durchziehen…. ich bin eben für´s verzichten auf Dauer auch nicht gemacht.

  7. Hallo Nadja, du schreibst so lustig! Habe gerade sooo gelacht, die Gedanken hätten meine eigenen sein können. Ich probiere es mal wieder mit einem zuckerfreien Tag, was ich als Memo an mich selbst auf einen Zettel geschrieben habe, der auf dem Tisch liegt. Denn – oh Überraschung – komm ich sonst vom Einkaufen mit einer Fernsehschokolade. Gedankenverloren, eben. Hach ja.
    Alles Liebe!

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