Gelassenheit lernen: So kann es im Alltag gelingen
Gelassenheit: Schon das Wort klingt so schön entspannt; nach loslassen, zulassen, locker lassen. Lässigkeit eben. Ich weiß nicht, wie es euch geht. Mir kommt die Ruhe im Alltag leider schnell abhanden – und das regt mich auf!
Ich stehe an der S-Bahn, die sich wieder einmal um 10 Minuten verspätet, und bin geladen. Ich habe keine Lust mehr, das Buch zu lesen, das ich für die Fahrt eingepackt habe. Doch ich weiß, dass das dämlich ist. Ich könnte die zehn Minuten genauso gut als geschenkte Zeit betrachten. Tue ich aber nicht. Und ärgere mich deshalb über mich selbst.
Seitdem mir solche absurden Verhaltensmuster bei mir aufgefallen sind, beschäftige ich mich intensiver mit dem Thema Gelassenheit. Dabei habe ich festgestellt, dass man tatsächlich Gelassenheit lernen und einüben kann. Eine erste, fundamentale Erkenntnis war: Gelassenheit beinhaltet zwei wesentliche Facetten:
- Die Fähigkeit, Dinge geschehen zu lassen, die ohnehin nicht zu ändern sind.
- Das Geschick, die Gegenwart auszukosten, ohne zu grübeln, was füher war und was – womöglich Schlimmes – später kommt.
Gegenwart genießen, Gelassenheit spüren
Beides hört sich logisch und simpel an. Warum funktioniert es im Alltag so schwer, gelassen zu bleiben? Meine Theorie, seitdem ich mich eingelesen habe: In unserem Kulturkreis sind wir stark leistungs- und ergebnisorientiert geprägt. Wir orientieren uns an der Zukunft.
Was möchte ich erreichen? Was muss ich dafür tun? Dafür analysieren wir dauernd die Vergangenheit: Was war gut, was schlecht, was soll ich anders machen? Das Hier und Jetzt kommt in unseren Überlegungen kaum vor. Das beginnt schon bei simplen Fragen wie: Was ziehe ich morgen an? Oder: Was mache ich heute Abend? Da ist immer ein Sog nach vorne.
Stress, Hetze, Ängste, Ärger und Sorgen sind Gift für die Gelassenheit. Genauso abträglich: übergroßes Pflichtbewusstsein, Ehrgeiz, der Antrieb möchlichst vielen Leuten gerecht zu werden und zu gefallen sowie ständige Vergleiche mit anderen.
Wann endet dieser Wettlauf endlich, fragt man sich? Die Antwort: Nie, wenn man ihn nicht selber stoppt.
Also hilft nur eines: Aktiv auf die Bremse zu steigen. Gelassenheit lernen. Ich übe permanent. Zugegebenermaßen mit wechselndem Erfolg. Es gibt Phasen, in denen mein Stresslevel erträglich ist. Dann fällt es mir recht leicht, das innere Gleichgewicht zu halten. Wenn alles über mir zusammenbricht, gebe ich gelegentlich auf. Auch eine Form der Gelassenheit: Schlechte Laune einfach mal zuzulassen, ohne sie mit einem schlechten Gewissen noch zu verstärken.
Insgesamt helfen mir diese 7 Schritte, auf dem Weg zur Gelassenheit voranzukommen.
- Die Gelassenheit wählen
- Abstand gewinnen
- Die Realität erkennen
- Den Spielraum ausloten
- Wichtiges von Unwichtigem trennen
- Innere Ausgeglichenheit lernen
- Körperliche Entspannung lernen
1: Die Gelassenheit wählen
„Wenn ich das und das erledigt habe, wird alles besser…“ Solche Gedanken sind Überlebenshelfer, sobald einem etwas abverlangt wird, das einen an den Rand seiner mentalen oder körperlichen Kräfte bringen. Nach dem Motto „Augen zu und durch“, bringt man es schnell hinter sich. Schlecht aber, wenn dieser Ausnahmemodus zur Routine wird. Wenn man am Ziel die Augen nicht wieder öffnet. In der Hoffnung auf eine entspanntere Zukunft vergisst man, dafür zu sorgen, dass sich etwas ändert. Darum: Bewusst entscheiden, dass man gelassener werden möchte. Und nicht beim Beschluss verharren, sondern mit der Umsetzung sofort beginnen. Als Reminder hilft manchmal schon ein Zettel, den man im Geldbeutel mit sich herumträgt, oder ein motivierendes Bild im Sperrbildschirm des Smartphones.
2: Abstand gewinnen
Wenn man sich ärgert, geht häufig die gesamte verfügbare Energie dafür drauf, cool zu bleiben. Da ist es naheliegend, sich zu fragen, ob das überhaupt sinnvoll ist. Ja, denn Frust und Wut Luft zu machen, löst kein Problem. Meister der Gelassenheit schaffen es, unproduktive Gefühle beiseite zu schieben und sich auf etwas Konstruktives zu konzentrieren. Wie das geht? Man braucht Abstand. Er ermöglicht es, eine Situation gelassen und damit angemessen zu bewerten.
Dabei helfen einige Tricks: Tief atmen und bis zehn zählen. Das gleicht eine unwillkürliche Stressreaktion des Körpers aus. Ohne Gegenmaßnahme würde die Atmung flacher, wenn wir uns aufregen, nervös oder ängstlich sind.
Wenn möglich, kurz den Raum verlassen, ehe man unüberlegt reagiert, sich in Rage redet oder schmollt. Draußen Muskeln locken, lachen oder schreien, bis man die Fassung wieder erlangt hat.
3: Die Realität erkennen
Unter Stress neigen wir dazu, den Teufel an die Wand zu malen. Um das zu unterbinden hilft die Frage: „Ist es wirklich so schrecklich?“ Was würde die beste Freundin sagen, wenn man ihr die Lage schildert? Sie würde einem gute Tipps geben, die das schlimme Szenario relativieren. Das durchzuspielen befreit einen aus der gedanklichen Befürchtungs-Schleife und hilft einen auf den Pfad zur Lösung. Loslassen ist wichtig, um Gelassenheit zu lernen. Waren es in Schritt 2 (Absand gewinnen) die negativen Gefühle, die es loszulassen galt, sind es hier die Tendenzen, sich selbst immer tiefer in negative Gedanken zu verstricken.
Eine weitere gute Methode, um sich zu beruhigen: Die Situation, die einen aufregt, bis zum Ende durchspielen. Zum Beispiel: „Was passiert, wenn ich im Stau stecke und zu spät zu meiner Verabredung komme?“ Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird das Date Verständnis zeigen – sofern man versucht hat, eine Nachricht zu schicken, wo man gerade steckt.
4: Den Spielraum ausloten
Im Prinzip existieren nur drei Möglichkeiten, eine belastende Situation zu lösen: Sie zu verändern, ihr zu entfliehen oder sie zu akzeptieren. Das Problem: Oft versucht man lange, etwas zu ändern, was nicht zu ändern ist – bevorzug andere Menschen. Andererseits lassen wir viele Chancen ungenutzt, etwa in unserem Sinne zu verbessern. Sei es aus Angst, aus Bequemlichkeit oder weil uns gar nicht auffällt, dass wir hier eine Möglichkeit hätten. Eine ehrliche Bewertung des Handlungsspieraums ist häufig der entscheidende Schritt, um sich locker zu machen. Hat man zum Beispiel Unabänderliches als solches erkannt, und möchte es nicht beenden, sondern stattdessen bewusst annehmen, stellt sich die Gelassenheit von alleine ein. Man muss sich nicht mehr in Kämpfen aufreiben oder an Enttäuschungen leiden. Nehmen wir wir dagegen die Mühe auf uns, etwas zu ändern, geht auch das gelassener, wenn wir immer vor Augen haben, warum wir es tun.
5: Wichtiges von Unwichtigem trennen
Der Kollege heimst Lob für einen Vorschlag ein, der eigentlich von dir stammt? Gerecht ist das nicht. Aber lohnt es sich wirklich, deshalb die ganze Nacht wach zu liegen und den Fiesling und den Chef in Gedanken zu ermorden? Wann lohnt sich der Einsatz der eigenen, kostbaren Energie? Wann sollte man gelassen bleiben? Es ist klar, dass wir nur über begrenzte Ressourcen verfügen. Setzen wir sie sinnvoll ein, sind wir insgesamt gelassener. Und wirken souveräner!
Zwei Fragen helfen bei der Entscheidung: Wie werde ich in einem Jahr darüber denken, werde ich mich überhaupt daran erinnern? Und: Ist das wirklich mein Problem? Ein Beispiel: Der Liebste lässt ständig seine Socken herumliegen. Wenn man aufhört, sie aufzusammeln, muss er es irgendwann selbst tun.
6: Innere Ausgeglichenheit lernen
Achtsamkeit ist hier das Stichwort. Achtsamkeitstraining gilt anerkanntermaßen als sehr sinnvoll, um Gelassenheit zu trainieren. Man muss also kein Zen-Buddhist werden, um ausgeglichener durchs Leben zu gehen. Wie Achtsamkeit im Alltag funktoniert, habe ich im Beitrag „5 schnelle Entspannungsübungen für zu Hause“ beschrieben. Ihr seht, das Thema Gelassenheit lernen beschäftigt mich wirklich intensiv.
7: Körperliche Entspannung lernen
Gelassen durchs Leben zu gehen ist ziemlich schwer, wenn der Körper mit Stresshormonen geflutet ist. Diese versetzen den Körper in Alarmbereitschaft – und damit auch den Geist. Das beste Mittel gegen Stresshormone: Bewegung, denn sie kurbelt die Produktion von stressabbauenden Hormonen an. Dafür muss man keinen anstrengenden Sport betreiben. Es reicht schon, täglich 30 Minuten zu Fuß zu gehen. Den Effekt bemerkt man meist bereits nach wenigen Tagen: Man fühlt sich ausgeglichener.
Neben Bewegung sind regelmäßige Pausen wichtig für die körperliche Ausgeglichenheit. In der bewusst arbeitsfreien Zeit gewinnt man Distanz zum belastenden Stress und wird so körperlich ruhiger. Tipps dafür findet ihr im Beitrag „Pause machen: 4 Tricks für schnelle Erholung“ auch hier im Blog.
Wie schon gesagt, Gelassenheit lernt man nicht über Nacht. Mal kommt man auf dem Weg gut voran, dann ist er wieder über längere Phasen außerst mühsam zu beschreiten. Ein anderes Wort für Gelassenheit ist Gleichmut. Auch ein ganz wunderbares Wort, weil es den Mut betont, der auch zur Gelassenheit gehört.
Liebe Alex, dank für den tollen Artikel über Gelassenheit.
Eine gute und spannende Zusammenfassung des Htemas mit vielen praktischen Tipps. Ich werde den einen oder anderen beherzigen (oder es zumindest versuchen).
Viele Grüße, Dagmar C.
Liebe Dagi,
das freut mich zu hören. Du bist doch viel besser in Gelassenheit als ich.
LG
Alex